8. Kapitel

 

Du siehst gut aus, Lea.«

Lea fühlte sich im Moment alles andere als attraktiv, doch das behielt sie für sich. Marco Venetto war schon seit vierzehn Jahren ihr Agent, von Anfang an, seit Beginn ihrer Karriere als Fotografin. Er war ein guter Geschäftsmann, ein treuer Freund - und der einzige Mensch auf der Welt, der wusste, wer sich hinter dem Pseudonym »Fotograf X« verbarg.

Vor sieben Jahren, als David sie verlassen hatte, als die Stimmen der Geister immer lauter wurden, hatte sie beschlossen, ein ganz neues Leben anzufangen. Sie hatte keine Wahl gehabt: entweder die Vergangenheit hinter sich lassen oder verrückt werden. Die vernünftige und praktische Lea konnte die Existenz übersinnlicher Wesen nicht akzeptieren - geschweige denn, sich mit deren Anliegen zu befassen. Die vernünftige und praktische Lea hielt sich seit jenem verhängnisvollen Unfall und dem daraus resultierenden Krankenhausaufenthalt für verrückt, für schizophren. Diese Lea wäre unweigerlich in der Psychiatrie gelandet und hätte sich ihr Leben lang mit Psychopharmaka vollpumpen müssen.

So war die »neue« Lea geboren worden und hatte sich ein neues Leben aufgebaut, ein Leben mit ganz anderen Zielen. Ihr Traum von Mann und Kindern, von einem Eigenheim, war gründlich ausgeträumt. Jetzt war ihr nur noch eins wichtig: genug Geld mit ihrer Fotografie zu verdienen, um leben zu können und jenen Geistern zu helfen, die ins Licht zu treten wünschten. Es ließ sich schwer sagen, warum einige Seelen hier auf Erden hängen blieben und nicht gleich »weitergingen«. Meist lag es daran, dass sie noch etwas zu erledigen hatten. Manche wussten um ein Geheimnis, das ans Licht kommen musste, bevor sie gehen konnten, andere wollten etwas Bestimmtes erledigt sehen ... das war ganz unterschiedlich. Aber eins war klar: Jeder »Geist« wusste ganz genau, was ihn daran hinderte weiterzugehen.

Dann gab es natürlich noch Geister wie Liam, die nicht die leiseste Absicht hatten »weiterzugehen«. Und dagegen hatte sie nichts, denn diese Sorte bereitete ihr am wenigsten Schwierigkeiten. Nur die Geister oder Seelen, die Hilfe brauchten, wurden anhänglich. Und genau so eine Seele hing ihr im Moment auch am Rockzipfel. Bildlich gesprochen.

Es war daher kein Wunder, dass sie alles andere lieber getan hätte, als mit Marco in einem schicken Restaurant zu sitzen.

»Danke, Marco, du siehst selbst nicht schlecht aus«, erwiderte sie sein Kompliment. »Aber was machst du hier in Edinburgh? Ist nicht gerade Prinzessin-So-und-so-Woche in Monte Carlo?«

Marco setzte sein verführerischstes Lächeln auf, und Lea hob skeptisch die Braue. Sicher, er sah unverschämt gut aus, aber sie kannte ihn viel zu gut, um auf ihn reinzufallen. Ihr italienischer Agent war seinen zahlreichen Eroberungen ebenso untreu, wie er seinen Klienten, also ihr, treu war. Außerdem machte sie sich nichts aus seinem geleckten italienischen Macho-Look. Sie bevorzugte den raueren, gefährlicheren Typ. Einen, der vor verhaltener Kraft vibrierte ... einen wie Adam.

Menschenskind, warum musste sie schon wieder an ihn denken?!

»Wie schaffst du es nur, einem Mann mit zwei kurzen Sätzen den Wind aus den Segeln zu nehmen?«, beschwerte sich Marco in gespielt verletztem Ton.

Lea zuckte die Achseln. »Ich hab jede Menge Übung.«

Er hob eine Braue. »Du brichst mir das Herz, cara, aber du darfst das. Du bist schließlich meine kleine Goldmine.«

»Ach ja?« Lea verdrehte die Augen und schob sich einen großen Bissen Steak in den Mund. Da sie nur selten ausging, hatte sie beschlossen, das Beste draus zu machen.

»O ja.« Marco nickte. Dann gab er dem Kellner einen Wink, und als dieser herankam, hob er seinen Salat. »Ich hatte um einen kleinen Spritzer Olivenöl gebeten, aber es scheint, als habe man mir einen dicken Klecks Mayonnaise auf meinen Salat getan. Der geht zurück. Bitte bringen Sie mir stattdessen die Tomaten-Basilikum-Suppe.«

»Gewiss, mein Herr.« Der Kellner zog mit saurem Gesicht von dannen.

»Ich sollte dich vielleicht darauf aufmerksam machen, dass es in England unüblich ist, sein Essen zurück gehen zu lassen«, fühlte Lea sich genötigt zu sagen.

»Ach was! Ich hoffe, die hauen mir keine Sahne in die Tomatensuppe?« Er schaute sich besorgt um. »Ich hätte dem Kellner sagen sollen: keine Sahne!«

Lea gab sich alle Mühe, doch dann brach sie trotzdem in Lachen aus. Nur Marco konnte sich so wegen einer Tomatensuppe aufregen.

»Na also.« Ihr Agent lehnte sich seufzend zurück. »Endlich lachst du mal. Du hast den ganzen Abend noch nicht einmal gelächelt.«

»Verzeih.« Lea seufzte; es tat ihr tatsächlich leid. Marco konnte ja nichts dafür, dass bei ihr daheim im Bad ein Geist auf sie wartete, eine Argentinierin, die ihr die verrückteste Bitte vorgetragen hatte, die ihr je untergekommen war. »Ich war mit den Gedanken woanders.«

Marco beugte sich vor und nahm sie beim Kinn. Seine schwarzen Augen blickten auf einmal ganz ernst, ernster, als sie ihn je zuvor gesehen hatte.

»Lea, ich weiß, ich war nicht da, als du mich am meisten gebraucht hättest, aber jetzt bin ich für dich da. Ich kann mich ändern.«

Lea holte tief Luft und legte ihr Besteck beiseite. Dann nahm sie seine Hand in ihre. Sie wusste, dass er es gut meinte, wusste, dass er davon überzeugt war, sich ändern zu können ... dass er ihr ein guter Freund sein wollte. Und dafür hatte sie ihn von Herzen gern. Aber sie mochte ihn wie einen Bruder, einen guten Freund, nicht mehr.

»Marco, das ist Jahre her, bitte hör auf, dir deswegen den Kopf zu zerbrechen. Woher hättest du es auch wissen sollen? Und du bist gekommen, sobald du es erfahren hast.

Bitte, vergiss das Ganze. Du bist mir immer ein wahrer Freund gewesen.« Sie drückte kurz seine Hand und lehnte sich dann zurück. »Aber mehr kann nicht sein zwischen uns. Du weißt ja, dass meine einzig wahre Liebe das Fotografieren ist.«

Marcos Lächeln ließ ein wenig länger auf sich warten, als Lea gedacht hätte. Er griff in seine Tasche, holte einen Umschlag hervor und schob ihn zu ihr hinüber.

»Nun, deine wahre Liebe hat sich mal wieder als äußerst profitabel erwiesen«, sagte er. »Du bist jetzt ganz offiziell - wie nennt man das noch - stinkreich?«

Lea nahm den Umschlag und ließ ihn grinsend in ihrer Handtasche verschwinden. »Na, das sind doch mal gute Neuigkeiten, oder?«

»Gut. Ja.« Marco hob seine Champagnerflöte, und als sie es ihm gleichtat, sagte er feierlich: »Gut für uns beide, mein liebes Gespenst.«

Das war der Spitzname, den ihr die Medien gegeben hatten. Die Ironie war Lea natürlich nicht entgangen.

»Und was willst du nun mit all deinen Reichtümern anfangen?«

»Das geht dich nichts an, mein Freund«, entgegnete Lea streng. Sie wusste ganz genau, was sie damit anfangen wollte. Sie hatte eine Million auf der hohen Kante, genug, um damit jahrelang ihren jetzigen Lebensstil aufrechtzuerhalten - wenn nicht gar bis an ihr Lebensende.

Alles Weitere gab sie immer gleich weg.

Sie spendete regelmäßig hohe Summen an verschiedenste Einrichtungen und Wohltätigkeitsorganisationen, darunter zum Beispiel städtische Friedhofsverwaltungen, die dafür sorgten, dass die Gräber gepflegt wurden. Sie gab Geld an die Krebsforschung, an Tierheime und Waisenhäuser in der ganzen Welt, sie spendete Tierschutzorganisationen und Kinderhilfswerken. Aber das meiste Geld ging an Helping Hand, eine Einrichtung, die hilfsbedürftigen Frauen und Mädchen einen Unterschlupf bot.

Nachdem Lea aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte sie feststellen müssen, dass David, ihr Verlobter, sie kurzerhand auf die Straße gesetzt und all ihr Geld einbehalten hatte. Sie hatte nichts dagegen tun können.

Die Wohnung lief auf ihn, und ihr ganzes Geld lag auf seinem Konto, da sie in der kurzen Zeit, seit sie nach Schottland gezogen war, noch keine Zeit gehabt hatte, ein eigenes Konto zu eröffnen.

Ohne einen Pfennig hatte sie auf der Straße gestanden und war auf Sozialhilfe angewiesen gewesen. Sie hatte eine winzige Wohnung in einer Sozialbausiedlung zugewiesen bekommen, dazu ein paar Essensmarken. Die Essensmarken hatte sie nicht eingelöst, sondern sich voller Angst, verrückt zu werden, in ihrem Zimmerchen eingeschlossen und versucht, nicht auf das Randalieren der Alkoholiker und Drogensüchtigen in der Nachbarschaft zu achten, auf das Heulen von Polizeisirenen und auf die Stimmen der Verstorbenen, die unablässig auf sie eindrangen.

Erst als sie Mrs. Drew kennen lernte, die Helping Hand leitete, war es wieder mit ihr aufwärts gegangen. Die Hilfsorganisation residierte in einer gemütlichen alten Pension, wo hilfsbedürftige Frauen und Mädchen einen Unterschlupf, gute Hausmannskost und viele gute Ratschläge erhielten.

Mrs. Drew war es, dank Leas großzügiger Spenden, in den letzten drei Jahren gelungen, überall in Schottland ähnliche Häuser zu eröffnen. So wurde Tag für Tag Frauen geholfen.

»Komm doch mit, Lea. Ich fliege morgen früh nach Paris«, sagte Marco, »und ohne dich wäre es einfach nicht dasselbe. Wir könnten die Flohmärkte unsicher machen, in guten Restaurants essen und Wein trinken bis zum Abwinken.«

Shopping in Paris.

Marco hatte ja keine Ahnung, wie wenig sie sich daraus machte.

Der großzügige Park um Prestonfield House war mit blauen und lila Lichtern kunstvoll ausgeleuchtet. Sie fuhren an den ehemaligen Stallungen vorbei, in denen nun, dem Anschein nach, irgendein teures Event stattfand. Vor dem Eingang des Hauptgebäudes, aus dem nun das Prestonfield Hotel geworden war, hielten sie an. Adam konnte sich noch gut erinnern, wie er vor vielen Jahren einmal eine unvergessliche Pokerspiel-Woche hier verbracht hatte, damals, als das Anwesen noch in Privatbesitz gewesen war.

»Ich dachte, du würdest dich freuen, mal das Restaurant kennen zu lernen«, sagte Victoria mit einem schelmischen Grinsen, während ein weißbehandschuhter Portier den Wagenschlag für sie aufhielt. Ein langer roter Teppich führte in die hell erleuchtete Eingangshalle, von der aus man rechts und links ins Restaurant, beziehungsweise die Hotelbar gelangte. »Cem hat mir erzählt, dass du dich bei deinem letzten Besuch hier offenbar prächtig amüsiert hast.«

Adam warf seinem Freund einen belustigten Blick zu.

»Er hat dir doch nicht meine Jugendsünden gebeichtet?«

Victoria grinste. »Ach, nur ein bisschen. Und nur, weil es mich so brennend interessiert hat.«

»Sicher hat er gewaltig übertrieben, damit du ihm an den Lippen hängst«, bemerkte Adam. »Ich dagegen kann dir Geschichten von ihm erzählen - ohne Übertreibung! -, bei denen ...«

»Adam«, sagte Cem warnend. Nicht, dass das Adam davon abgehalten hätte, seinen Freund mit den alten Geschichten zu blamieren, wenn er unbedingt gewollt hätte.

Aber er wollte nicht. Cem hatte jetzt Victoria. Das, was davor gewesen war, war Vergangenheit. So war es bei allen Vampiren, die endlich ihren Lebenspartner gefunden hatten.

»Ah, Mr. Bilen, herzlich willkommen. Ihr üblicher Tisch wird gleich für Sie fertig gemacht«, sagte der Oberkellner hoheitsvoll, sobald er sie erspäht hatte.

Das Rhubarb war offenbar eins von Cems und Victorias Lieblingsrestaurants. Adam folgte den beiden und fragte sich dabei unwillkürlich, ob er wohl je eine Frau haben würde und ein gemeinsames Lieblingsrestaurant ... Der Gedanke war ihm bisher noch nie gekommen.

»Also, was sind das für Geschichten?«, wollte Victoria sofort wissen, nachdem man sie an »ihren« Tisch gesetzt hatte. Er stand an einem der hohen Fenster, und man hatte von dort aus einen herrlichen Blick in den Garten. Der große Kamin und die hohen Decken waren noch ganz so wie früher, aber alles andere hatte sich drastisch verändert.

Jetzt standen überall kleine, mit weißen Tischdecken gedeckte Tische, darauf glänzendes Silberbesteck, funkelnde Kristallgläser, gefüllt mit teuren Weinen, in der Mitte kostbare Kerzenständer. Früher hatten hier gerade mal zwei Sofas und ein paar Sessel gestanden; es war das Raucherzimmer des Anwesens gewesen.

»Adam wollte bloß andeuten, dass er kein so großer Playboy ist, wie ich behauptet habe«, erklärte Cem und widmete sich mit unnatürlichem Interesse der Speisekarte.

»Ach, Playboy, was für ein hässlicher Ausdruck«, sagte Adam, wurde aber von Victoria unterbrochen.

»Mein Gott, Cem, weißt du, wer das ist?«

Adam folgte Victorias Blick zu einem Tisch am anderen Ende des Raums. Er kannte den Mann nicht, der dort mit einer Frau saß, doch der Typ war ihm durchaus vertraut: manikürte Hände, enge Beinkleider, schmale Krawatte. Das war ein Playboy, wie er im Buche stand. Aber was fand Cems Frau bloß an ihm?

»Und? Das ist ein italienischer Gentleman«, bemerkte Cem gleichgültig und steckte seine Nase wieder in die Speisekarte.

Seine Frau verdrehte die Augen. »Ein italienischer Gentleman! Weißt du denn nicht, wer das ist? Das ist Marco Venetto, der Agent des Gespensts!«

Nun hatte sie Cems Aufmerksamkeit errungen. Er legte die Speisekarte beiseite und warf einen genaueren Blick zum anderen Tisch hinüber.

Adam dagegen glaubte sich verhört zu haben. Das Gespenst? Wie eigenartig. Er hatte noch nie davon gehört.

Victoria merkte es.

»Das Gespenst ist ein Fotokünstler, und Marco ist sein Agent. Er selbst nennt sich ›Fotograf X‹, aber die Kunstwelt hat ihm den Spitznamen ›das Gespenst‹ gegeben, weil er noch nie öffentlich in Erscheinung getreten ist«, erklärte Victoria, die sich vorgebeugt hatte, um nicht so laut reden zu müssen. »Der Fotograf ist vor, ich glaube, sieben Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht - das heißt, natürlich nicht er, sondern sein Agent. Er ist der Einzige, der weiß, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt. Mein Gott, was wir schon alles versucht haben, um ein Interview mit dem scheuen Künstler zu bekommen! Aber Venetto ist unnachgiebig.«

Adam schaute noch einmal zu dem italienischen Agenten hinüber, diesmal mit mehr Respekt. Was immer Mr.Venetto sonst sein mochte, er schien ein guter, treuer Agent zu sein.

»Warum gehst du nicht kurz hin und sagst Hallo?«, schlug Cem vor. »Wenn man bedenkt, wie viel wir für dieses ›Gespensterfoto‹ ausgegeben haben, dann ist er dir zumindest ein paar freundliche Worte schuldig.«

»Ich weiß nicht«, sagte Victoria unschlüssig, »er ist nicht allein.«

»Sie geht sich gerade die Nase pudern«, verkündete Adam. Er konnte das Gesicht der Frau, die mit dem Rücken zu ihnen saß, zwar nicht erkennen, aber ihre Figur in dem schlichten schwarzen Cocktailkleid war fabelhaft. Typisch Italiener - immer ein Model am Arm.

»Komm«, sagte er, erhob sich und bot Victoria seinen Arm, »einen möglichen Käufer will Mr. Venetto sicher gerne kennen lernen.«

Victorias Augen blitzten auf; sie hakte sich bei Adam unter. »Cem, ich glaube, ich habe mich soeben in deinen besten Freund verliebt.«

Kichernd ließ sie sich von ihm wegführen. Adam hörte seinen Freund zwar noch etwas grummein, wusste aber, dass dieser sich im Grunde herzlich freute.

»Mr. Venetto.«

Victoria bot dem Mann mit einem professionellen Lächeln die Hand. Adam hätte kein Gedankenleser sein müssen, um die Neugier und Anerkennung zu sehen, die im Gesicht des Italieners aufleuchteten.

»Kennen wir uns?«, fragte er. Er erhob sich, nahm die dargebotene Hand und drückte einen Handkuss auf Victorias Fingerknöchel. Adam hätte gereizt reagiert auf diese Geste, wäre da nicht Cems Räuspern gewesen, das vom anderen Ende des Saals her ertönte. Die Eifersucht seines Freundes war ebenso ungewohnt wie amüsant.

»Mein Name ist Victoria Bilen.«

»Ah! Herausgeberin und Chefredakteurin von Artists Sight und stolze Besitzerin der Fotografie Liams Toys«, sagte Marco. Plötzlich leuchteten seine Augen. »Ich bin ein großer Fan Ihrer Zeitschrift und Ihrer Artikel. Es gibt nur wenige in der Welt der Schönen Künste, die derart gut informiert sind wie Sie und die einen so untrüglichen Geschmackssinn besitzen. Es ist mir eine Ehre, Signorina.«

Adam war beeindruckt. Der Mann hatte Stil. Und ein ausgezeichnetes Gedächtnis, wie es schien. Auf Victorias Wangen war eine zarte Röte erschienen. Er verstand sich darauf, dem Käufer das Gefühl zu geben, etwas ganz Besonderes zu sein.

»Darf ich Ihnen den Herz -, ich meine, Lord Murray vorstellen?«, korrigierte sich Victoria, der im letzten Moment eingefallen war, dass Adam lieber seinen weniger bedeutenden Titel benutzte.

»Lord Murray.« Marco schüttelte Adam die Hand und musterte ihn dabei interessiert. »Es ist mir ein Vergnügen.«

»Ganz meinerseits, Mr. Venetto. Victoria hat mir gerade klargemacht, dass mir noch ein ganz bestimmter Künstler in meiner Sammlung fehlt. Sie schwört auf Ihren Klienten mit dem Namen ›das Gespenst‹.«

Das war nicht wirklich gelogen. Adam war tatsächlich ein Kunstsammler, hatte aber bisher wenig Zeit dafür gehabt. Außerdem interessierte er sich vor allem für Ölgemälde.

»Wie gesagt, Miss Victoria besitzt einen ausgezeichneten Geschmack ...«

»Mrs. Victoria, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Cem war hinter ihrem Rücken aufgetaucht. Victoria bedachte ihren Mann mit einem kühlen Blick, den dieser ignorierte. Er lächelte dem verlegenen Italiener zu. »Möchten Sie nicht an unseren Tisch kommen, Mr. Venetto?«

»Es freut mich immer, ein wenig Zeit mit Kunden und Kunstliebhabern zu verbringen, aber ich bin mit einer lieben Freundin hier ... ah, da ist sie ja.«

Marco schaute zur Türe, und Adam drehte sich neugierig um. Er war gespannt darauf, die liebe Freundin des Agenten näher in Augenschein nehmen zu können.

Er erkannte sie sofort, und Zorn wallte in ihm auf. Wieso hatte er sie nicht schon vorhin erkannt? Er vergaß nie ein Gesicht, nie.

Und er hatte auch ihres nicht vergessen. Sie sah genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte: kurzes, schwarzes Haar, volle Lippen, hohe Wangenknochen und die hellsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. Die Frau, die er in Istanbul - fast - in seine Suite eingeladen hätte, sie war hier, in Schottland.

Und es war nicht das erste Mal, dass er sie sah.

Aus irgendeinem Grunde gefiel sich die mysteriöse Dame darin, sich in Lumpen zu hüllen und Geisterseancen abzuhalten.

»Da bist du ja, bella! Darf ich Ihnen Miss Lea Donavan vorstellen? Lea, das sind Mr. und Mrs. Bilen und Lord Murray.«

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Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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